Dem Chef der Corona-Task-Force gehen die Lockerungen des Bundesrates zu weit Matthias Egger, Leiter der wissenschaftlichen Corona-Task-Force des Bundes, warnt vor einem erneuten Anstieg der Fallzahlen. Andri Rostetter Aktualisiert 21.06.2020, 10.58 Uhr Drucken Teilen Die Bewegungsfreiheit nimmt ab Montag nochmals ein gutes Stück zu: Grossveranstaltungen bis 1000 Personen sind wieder erlaubt, die Polizeistunde fällt weg, der Mindestabstand wird auf 1,5 Meter reduziert, für Kundgebungen gelten keine Obergrenzen mehr, die Home-Office-Empfehlung ist Vergangenheit. Der Bundesrat hat damit am Freitag praktisch alle Corona-bedingten Einschränkungen aufgehoben. Nur Grossveranstaltungen mit über 1000 Personen bleiben weiterhin verboten. Der vierte und vorerst letzte Lockerungsschritt hat die Debatte über die Gefahr einer zweiten Welle erneut befeuert. Matthias Egger, Chef der Corona-Task-Force des Bundes und Präsident des Nationalen Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds, äusserte sich am Sonntag in mehreren Zeitungen kritisch über das Vorgehen des Bundesrates. «Für die jüngsten Lockerungen sind wir noch nicht bereit», sagt er etwa in der «NZZ am Sonntag». Funktionierendes Überwachungssystem fehlt Egger leitet seit Ende März die wissenschaftliche Corona-Task-Force des Bundes. Die aus mehreren Expertengruppen aus Medizin, Naturwissenschaften und Wirtschaft bestehende Task-Force berät den Gesamtbundesrat sowie die zuständigen Stellen des Bundes und der Kantone. Der Verlauf der Epidemie sei sehr erfreulich, sagt Egger in einem Interview in der «Sonntags-Zeitung». Es sei gelungen, die Fallzahlen deutlich zu reduzieren. Die Situation sei aber nach wie vor unsicher. Die begleitenden Massnahmen zur Bewältigung eines Wiederanstiegs der Covid-19-Fälle seien noch nicht komplett umgesetzt. Es fehle nach wie vor ein funktionierendes Überwachungssystem für die ganze Schweiz. Zudem sei unklar, wie gut das Contact-Tracing etabliert sei. «In dieser unsicheren Situation halten wir von der Wissenschafts-Task-Force die weiteren Lockerungsschritte für verfrüht», hält Egger fest. Für das Contact-Tracing, die Rückverfolgung von bestätigten Covid-19-Fällen, sind die Kantone zuständig. Ab Donnerstag, dem 25. Juni, soll zudem die Tracing-App des Bundes für Apple- und Android-Mobiltelefone verfügbar sein. Berset widerspricht Egger Der beobachtete Anstieg der Fallzahlen ist laut Egger möglicherweise auf die Lockerungen vom 11. Mai zurückzuführen. Seit jenem Datum dürfen Läden, Restaurants, Museen, Bibliotheken wieder offen sein, in den Primar- und Sekundarschulen wird wieder unterrichtet. Auch das Angebot im öffentlich Verkehr wurde deutlich erhöht, und die Einschränkungen für den Breiten- und Spitzensport wurden weitgehend rückgängig gemacht. Egger hatte schon vor der Medienkonferenz des Bundesrates vor neuen Lockerungen gewarnt. Zu Eggers Warnung sagte Innenminister Alain Berset, auch Ende April hätten Experten von Lockerungen abgeraten und vor Problemen gewarnt. Diese Probleme seien jedoch bis heute nicht aufgetaucht. Allerdings räumt auch Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), gewisse Schwierigkeiten beim Contact-Tracing ein. Gegenüber der «NZZ am Sonntag» sagt er, es könne bei der Rückverfolgung manchmal schwierig sein, die Ansteckungskette zu etablieren, wenn es lange keine Fälle gegeben habe und plötzlich wieder neue auftauchten. Insgesamt hätten die Kantone die Lage aber im Griff. NZZ